Nachtzug im September. Wir sind nicht gänzlich unter uns im Abteil, und es wirkt so, als habe jemand mit ein wenig mehr Befugnissen diesen unablässig bärtig quasselnden Studenten zu uns gesetzt. Eigentlich kein ganz so verkehrter Kerl, aber für die Fahrt wirkt er wie eine verbale, etwas schmuddelige Vorwegnahme der Stadt, die wir besuchen werden. Als ich meine Zigaretten heraushole und er die Marke sieht, erklärt er uns etwas von Existenzialistenfrühstück mit schwarzem Kaffee und Zigarette. Mach mal schön weiter Jean-Paul, denke ich und gehe auf den Flur um zu rauchen während ich ins Rauschen der Fahrt horche. Mich hat immer das Beruhigende an diesem Lärm gewundert.
Untergebracht werden wir in einem Studentenwohnheim, das in der vorlesungsfreien Zeit die leeren Zimmer für Reisende zur Verfügung stellt. Davor wird es ein Krankenhaus gewesen sein, das kann das Gebäude einfach nicht verbergen. Einer dieser alten Klötze, die man noch nicht einmal innenarchitektonisch geändert hat. Die Farbe der Wände und die Sitzgruppen im Foyer rufen mich ins OP. Mit zehn Stockwerken Unterschied zu den anderen finden P. und ich unser Zimmer unter dem Dach. Das internationale Sprachgemisch der Studenten auf dem Flur und das Wuchten der Fahrstuhlanlage bis spät in die Nacht. Die nächsten Tage sind eine Zettelwirtschaft:
Ich lerne das Trinken von Kaffee. Kaffee morgens, mittags und abends. Kaffee nachts. Coffee-to-Go. Go-to-Coffee.
In der U-Bahn liegen kleine Zettel aus, die ich mir mit P. näher betrachte. Es sind kurze Gedichte; wir sammeln ein paar davon, aber alle sind scheiße.
Das Hundertwasserhaus ist ein netter Versuch mich bunt zu stimmen. Schnell wird mir klar, warum ich den Künstler eigentlich nur vom Einband der Lateinlexika kenne. Und einmal wieder Peter Lindbergh mit seinen Über-Nackten. Im Erdgeschoss gibt es auch ein Café. Die Kellnerin ist hier freundlich.
Dazwischen halbgare Eifersucht, die man schön poliert und neben die Melange wie einen Revolver auf den Tisch legt. Was hast Du? Es ist nichts.
An der Stadt fällt mir das latent bis überaus deutlich Pornographische auf. Viel zu viele Nachtklubs und klimatisierte Einzelkabinen. Selbst Hotelangestellte tragen unmögliche Plateauschuhe. Das mischt sich mit diesem jahrhundertealten Melting-Pot-Gefühl und einer ätzend biederen Fassade. Zusammen macht dies scheinbar das Flair der Stadt aus. Ich will die Kultur nicht vergessen. Aber die war hier scheinbar immer so reich an krassen Blüten, da es die oben genannte schräge Mischung schon ewig zu geben scheint.
Kaffee bei McDonald’s. Kein Kommentar.
Auf Katharinas Sarkophag schießen sich unzählige Leute für sie ins Grab.
Und so weiter. Ganz besonders im Burgtheater.
Halt, Schiele, Dich fand ich gut. Klar. Bei der Laune. Aber muss man Deinen Kollegen Klimt so vermarkten? Ja, gerne, noch eine Melange bitte!
Ich kehre heim und bemerke, dass ich fünf Kilo abgenommen habe. Als hätte ich sie mit etwas eingetauscht, das eine andere Schwere besitzt.
Man wundert sich später wirklich, was man sich selbst damit eigentlich sagen wollte. Bruchstücke auf dem Weg in die zweite Dekade Leben.
Den Stapel Zettel zurück in den Schuhkarton, den Schuhkarton zurück unters Bett.